Wie viele Steckverbinder benötigen die Fahrzeuge der Zukunft? – Neue Bordnetz-Architekturen und platzsparende Verbindungslösungen

Die Automobilindustrie befindet sich in einem der größten Umbrüche in ihrer Geschichte. Dies betrifft nicht nur die Elektromobilität, sondern auch die Elektrisch/Elektronischen Architekturen (E/E). Betrachtet man den Trend zum SDV („Software Defined Vehicle“- ein Fahrzeug, dessen Eigenschaften und Funktionen im Wesentlichen durch Software ermöglicht werden, sozusagen ein softwarezentriertes elektronisches Gerät auf Rädern), so zeigt sich der enorme Unterschied zu heutigen Fahrzeugen mit ihren bis zu 100 Steuergeräten, bei denen zum Beispiel ein Softwareupdate „over the air“ nahezu unmöglich ist. Eine zentrale Rechnerstruktur mit Anbindung aller Sensoren und Aktoren erscheint unter diesen Bedingungen nicht vorstellbar.

Um ein autonom fahrendes Fahrzeug zu realisieren, ist eine enorme Anzahl von Leitungen mit erheblichen Leitungslängen erforderlich, die durch das gesamte Fahrzeug verlegt werden müssen. Es wird daher mehrere Zwischenschritte zum SDV geben, die über Domänencontroller in Verbindung mit Zonencontrollern Einzug in die Fahrzeuge halten werden. Unterstützt wird dies durch die zunehmende Einführung der Ethernet-Technologie, deren Weiterentwicklung in Richtung Multi-Gigabit in den Gremien IEEE802.3ch, IEEE802.3cy und IEEE802.3cz spezifiziert wird. Mit dieser Technologie wird es in zukünftigen Architekturen möglich sein, die Anzahl der Steckverbindungen für autonome Fahrzeuge auf ein notwendiges Minimum zu reduzieren. Trotz dieser Schritte wird es eine Herausforderung sein, die Sensoren und Aktuatoren mit den leistungsfähigen Zonencontrollern zu verbinden. Dies liegt daran, dass im Fahrzeug mehr als 100 schnelle Steckverbindungen an den Steuergeräten benötigt werden. Hinzu kommt, dass es für den Mitarbeiter am Montageband des OEMs ein enorm komplexer Vorgang ist, immer den richtigen Steckplatz am Steuergerät mit der definierten Leitung zu verbinden. Ein weiteres Problem besteht darin, den notwendigen Platz für diese hohe Anzahl an Steckplätzen an den Steuergeräten zu finden. Denn der Bauraum für den Anschluss der Leitungen ist begrenzt. Es sind also neue Lösungen gefragt, die die Anzahl der Steckverbindungen reduzieren und gleichzeitig eine maximale Flexibilität ermöglichen, um all das innerhalb der Taktzeiten der Fahrzeugendmontage der OEMs, und somit wirtschaftlich sinnvoll realisieren zu können. Es gilt daher, flexible, integrierte Steckverbindungen zu entwickeln, die den vorhandenen Bauraum optimal ausnutzen und die Anzahl der Steckvorgänge deutlich reduzieren.

Komplexe Bordnetze: Zu viele Steuergeräte, zu viele Verbindungen

Betrachtet man heutige Fahrzeuge, so sind dort zwischen 10 und 25 High-Speed-Steckverbinder an den Steuergeräten verbaut. Diese sind im Fahrzeug verteilt und über konfektionierte Leitungen mit den Sensoren und Aktuatoren verbunden. Hinzu kommen unzählige Verbindungen mit Sensoren und Aktuatoren mit niedrigen Datenraten, welche die Steuergeräte mit den notwendigen Signalen versorgen. Durch die steigende Anzahl von Funktionen, die High-Speed-Verbindungen benötigen, wie zum Beispiel Infotainment, ADAS und autonome Fahrfunktionen, steigt die Anzahl der Steuergeräte im Fahrzeug stark an. Dies führt zu einem deutlich höheren Bedarf an Datenleitungen und erschwert erheblich die Kompatibilität der Softwareschnittstellen. Darüber hinaus hat sich der Komponentenmarkt in den letzten Jahren dahingehend entwickelt, dass für Datenverbindungen mit hohen Datenraten verschiedene Stecksysteme zur Verfügung stehen, die nicht untereinander kompatibel sind. Dies führt zu einer starken Diversifizierung von technischen Lösungen.

Entwicklung der Bordnetz-Architekturen im Fahrzeug

Um zu verstehen, wie es zu dieser großen Anzahl von Anwendungen kommt, muss man zunächst einen Blick auf die Architekturen werfen, die heute im Einsatz sind oder in den Fahrzeugen der Zukunft zum Einsatz kommen werden, um die vielen Sensoren und Aktoren anzubinden und zu steuern.

1) Verteilte Architektur

Diese Architektur ist im Laufe der Zeit gewachsen, wobei in der Regel für jeden Sensor und Aktor ein eigenes kleines Steuergerät ergänzt wurde. Mit der Zunahme der Sensoren und Aktuatoren auf über 100 stieg auch die Anzahl der Steckverbindungen und Leitungen an den Steuergeräten und der Head Unit. Angesichts des begrenzten Platzes für die steigende Anzahl von Steckverbindungen und Leitungen an den Steuergeräten hat ein Umdenken hin zu flexibleren und skalierbaren Architekturen stattgefunden.

2) Domänen Architektur

Diese Architektur ermöglicht es, alle Sensoren und Aktoren einer Applikations-Gruppe zusammenzufassen. Die Funktionen der ursprünglich vielen einzelnen Steuergeräte werden durch Software im Domänen-Controller abgebildet. Die verschiedenen Applikations-Gruppen werden jeweils mit einem Domänen-Controller abgebildet. Auf den Steuergeräten befinden sich Steckplätze für die jeweiligen Anwendungen (Sensoren und Aktuatoren) und jeweils eine Verbindung zum Hauptsteuergerät. In dieses System können Applikationen wie z.B. ADAS als eigenständige Funktionseinheit integriert werden. Dies hat eine Miniaturisierung der Steckverbinder zur Folge, um ausreichend Platz für die zahlreichen Applikationen zu schaffen. Zudem steigen die benötigten Datenraten zwischen den Steuergeräten.

3) Zonen Architektur

Bei dieser Architektur befinden sich 1-2 HPCs (High Performance PCs) im Fahrzeug, die als zentrales Gehirn die zunehmend autonomen Funktionen steuern. Zur Realisierung werden sogenannte „Zone Controller“ eingesetzt, die die Datenverarbeitung (Aggregierung) durchführen und an den HPC senden, der die Steuerung der Aktuatoren übernimmt. Mit zunehmender Automatisierung bzw. Autonomie der Fahrfunktionen wird dieser HPC mit der notwendigen Redundanz ausgestattet, um die nötige Entscheidungssicherheit zu gewährleisten. Damit man den unterschiedlichen Architekturen der OEMs gerecht werden kann, ist ein möglichst modularer und flexibler Ansatz für die Steckverbinder erforderlich.

Automotive Ethernet – Reduzierung der Komplexität

Untersuchungen verschiedener Chip- und Steuergerätehersteller zeigen, dass die Anzahl der Sensoren in den nächsten Jahren drastisch ansteigen wird. Aus verschiedenen Analysen und Studien geht hervor, dass pro Fahrzeug zwischen 25 und 80 High-Speed-Steckverbinder auf den Steuergeräten benötigt werden. Dies variiert stark je nach Architektur und Anzahl der Sensoren im Fahrzeug. Betrachtet man nur die Sensoren, so werden in autonomen Fahrzeugen bis zu 30 Kameras, 20 Radar- und 10 Lidar-Sensoren verbaut. Hinzu kommen diverse Infotainment-Schnittstellen sowie Car-to-X, was in Zukunft eine wichtige Rolle bei der Vernetzung mit anderen Fahrzeugen und der Infrastruktur spielen wird. Die Herausforderung besteht darin, die gesammelten Daten in Echtzeit auszuwerten und an die sehr leistungsfähigen HPCs zu senden, damit dort die Entscheidungen für die Fahrsituation getroffen werden können. Diese geben dann Befehle an die Aktuatoren weiter, die das Fahrzeug steuern, um ein sicheres autonomes Fahren zu gewährleisten. Dazu ist es notwendig, ein breites Spektrum an leistungsfähigen Steckverbindern und Leitungstechnologien zur Verfügung zu stellen und deren Integration in die Steuergeräte zu gewährleisten. Da sich bei den verschiedenen OEMs unterschiedliche Schnittstellen etabliert haben, ist ein Höchstmaß an Flexibilität erforderlich, um den vielfältigen Kundenanforderungen gerecht zu werden. Dem gegenüber steht das Ziel der Automobilhersteller, den Kabelsatz automatisiert im Fahrzeug zu montieren und die Anzahl der Leitungen zu reduzieren. Dies stellt die Kabelkonfektionäre vor große Herausforderungen, da sie die High-Speed-Leitungen automatisiert in den Kabelbaum bringen müssen. Diese Integration ist nicht in einem Schritt möglich, weshalb versucht wird, die Grundarchitektur mit Automotive Ethernet über ein geschirmtes Zweidraht-System zu standardisieren. Durch Ethernet kann die Möglichkeit genutzt werden, sogenannte „Zone Controller“ einzusetzen, die mit spezifischer „Intelligenz“ ausgestattet sind und eine Vereinfachung und Verkürzung der Kabellängen des Kabelbaums ermöglichen. Gleichzeitig ist eine Modularisierung der Steckverbindungen an den Controllern notwendig, um die Controller für den Kunden flexibel anpassbar zu machen.

Summenstecker zur flexiblen Anpassung an die Bordnetz-Architektur

Um dieses Dilemma zu lösen, wird derzeit die Integration von High-Speed-Steckverbindern in „Multipin Header“ untersucht. Hierbei handelt es sich um Summenstecker, in die die Einzelkontakte mit einem speziellen „Stitchingprozess“ eingepresst werden. Die angestrebte Lösung zielt darauf ab, High-Speed-Steckverbinder mit einem ähnlichen Verfahren in diese Header (Platinen-Steckverbinder) einzubringen und zu fixieren. Dabei werden je nach Kundenvorgabe zwei Ansätze verfolgt.

Die erste Möglichkeit erlaubt es, bestehende Steckverbinder-Schnittstellen (z.B. H-MTD, MATE-AX, HFM etc.) so in einen Steuergeräte-Header zu integrieren, dass sie in einem Schritt auf dem Steuergerät positioniert und appliziert werden können. Dies bietet den Vorteil eines vereinfachten Herstellungsprozesses für den Tier1 Lieferanten.

Eine zweite Möglichkeit stellt einen völlig neuen Ansatz dar. Er besteht aus einem Baukasten, der je nach Kundenwunsch mit unterschiedlichen Schnittstellen bestückt werden kann. Grundvoraussetzung ist ein standardisiertes Rastermaß für sogenannte Module, die sowohl mit Leistungs- und Signalkontakten als auch mit High-Speed-Steckverbindern bestückt werden können. Dieses System funktioniert unabhängig von der ursprünglichen Schnittstelle mit Modulen. Daraus ergibt sich für den Tier1 und den OEM eine hohe Flexibilität bei der Anpassung seiner Steuergeräte an die Anforderungen der Architektur.

Flexible und platzsparende Lösungen für moderne High-Speed-Anforderungen

MD ELEKTRONIK hat einige innovative Lösungskonzepte entwickelt, die auf Steuergeräten eine platzsparende Integration ermöglichen und sich bereits mit ersten eigenen Steckverbindern im Markt etabliert. Zudem arbeitet MD aktuell mit einem Kooperationspartner an einer Studie, die diese Ansätze betrachtet und im Sommer 2024 abgeschlossen sein wird. Ziel ist es hier eine möglichst flexible und platzsparende Lösung zu präsentieren, die die High-Speed-Anforderungen für zukünftige Applikationen erfüllt.

Zusammenfassend kann man feststellen, dass auf das automobile Bordnetz viele Herausforderungen warten, die neue Innovationen im Bereich Steuergeräteanbindung, Steckverbinder und Konfektionslösungen erfordern. MD ELEKTRONIK ist ein Unternehmen, das in innovative Lösungen frühzeitig investiert, diese bis zur Serienreife entwickelt und somit zuverlässig neue Bedürfnisse am Markt bedienen kann.

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Kontakt

Helmut Pritz

Helmut Pritz ist Produktmanager für optische Datenübertragung bei MD Elektronik. Mit seinen mehr als 20 Jahren Branchenerfahrung bringt er sehr viel Expertise mit, um diese zukunftsweisende Technologie voranzutreiben. Seine Berufung ist es mit Kunden, Startups, Steuergeräteherstellern und Lieferanten, innovative Lösungen für die Automobilindustrie zu entwickeln.
Nach seiner Tätigkeit als Projektleiter, bei der er für die Entwicklung von Steckkomponenten und die dazugehörigen Automatisierungsanlagen zuständig war, baute er als Manager Development RF Technology eine Entwicklungsabteilung auf, die sich hauptsächlich mit der Hochfrequenztechnik beschäftigte.
Der vielseitige Kontakt zu Kunden, Lieferanten und dem globalen Team bei MD gehören zu den Tätigkeiten, die er an seiner Position ganz besonders schätzt.