Risiken und Auswirkungen der aktuellen Preissteigerungen in der Automobilindustrie

Interview mit Carsten Bieng über die aktuelle Lieferkettensituation und die Herausforderung in der Beschaffung.

„Gut funktionierende Lieferketten sind im aktuellen Umfeld ein großer Wettbewerbsvorteil“

Die Weltpolitische Lage erweist sich seit Jahren als immer instabiler. Covid, Ukraine, Inflation und Klimakrise sind nur ein Auszug aus einer Vielzahl an Stichwörtern, die für die schwierige Situation in Wirtschaft und Gesellschaft stehen. Auch die globalisierten Lieferketten der Automobilindustrie müssen sich diesen Herausforderungen stellen. 

Im Rahmen der „yourmdexpertise“ Interview-Reihe sprechen wir mit Experten aus dem Hause MD ELEKTRONIK über aktuelle und zukünftige Schwerpunkt-Themen in der Automobilbranche.

In dieser Ausgabe haben wir Carsten, Einkaufsleiter bei MD getroffen und mit ihm über seinen Job bei MD, die Ursachen der aktuellen Preissteigerungen in der Automobilindustrie sowie die daraus resultierenden Risiken und Konsequenzen sowie den Umgang von MD mit dieser Situation gesprochen.

Carsten, bitte erzähle uns ein wenig über Dich. Was reizt Dich am meisten an Deinem Job?

Ich bin Carsten Bieng, Dipl.-Wirtsch.-Ing (FH) und verantwortlich für den Produktionsmaterialeinkauf der MD Gruppe. Seit 12 Jahren bei MD, glücklich verheiratet und Vater einer Tochter. Ich bin passionierter Einkäufer und Familienvater mit Herz und Seele.

Kommen wir nun zu Deiner Tätigkeit im Einkauf. Ich kann mir vorstellen, dass die letzten zwei Jahre sehr turbulent waren. Worin siehst Du die Ursachen für die aktuellen Preissteigerungen in der Automobilindustrie?

Lockdowns während der Corona-Pandemie legten zu verschiedenen Zeitpunkten ganze Regionen lahm. Unternehmen haben unterschiedlich auf die Einflüsse reagiert: teils haben Kunden Bestellungen storniert und teils haben Hersteller ihre Produktionskapazitäten heruntergefahren oder anderweitig vergeben. Somit wurden einige Güter beim Wiederhochlauf zu Mangelwaren. Die Angebotsseite war verkürzt. Diese Verwerfungen in einer globalisierten Wirtschaftswelt mit eng aufeinander getakteten Lieferketten und häufig optimierten Lagerbeständen markierten den Beginn der Preissteigerungen.

Verstärkt wurden die heutigen Inflationseffekte durch Konjunkturpakete während der Pandemie, die die Nachfrageseite unterstützten. Es traf hohe Nachfrage auf knappe Angebote, wodurch die Preise stiegen. Verschärft wurde diese Situation durch die sog. Energiekrise in Europa, verursacht durch die geopolitischen Ereignisse in diesem Jahr. Die ursprünglichen Lieferkettenprobleme verbessern sich zwar stetig oder lösen sich bereits teilweise auf, aber die Preissteigerungen bleiben weiter auf hohem Niveau, da die Gegenmaßnahmen – wie die aktuellen Zinserhöhungen der Notenbanken – erst zeitversetzt greifen. Bis zum Abkühlen der Inflation werden sich Material- und Energiekostensteigerungen auf Lohn- und Gehalterhöhungen übertragen, um die Kaufkraft der Konsumenten nachzuziehen. Die Preissteigerungen werden sich auch im kommenden Jahr weiter auf vergleichsweise hohem Niveau halten, denn es entwickelt sich aktuell eine strukturelle Inflation, deren Ursachen noch nicht behoben sind und welche insbesondere aufgrund der Energiekrise in Europa noch andauern kann.

Danke für die tolle Zusammenfassung. Welche Risiken ergeben sich dadurch für die Automobilindustrie?

Die Lieferkettenprobleme sowie die folgende Inflation führten zu Unsicherheiten in allen Wertschöpfungsbereichen und zu einer starken Verunsicherung im gesamten globalen automobilen Markt. Die Gefahr großflächiger Ausfälle von Lieferanten bis hin zum Zusammenbruch von Lieferketten erschien real. Multiple Source Strategien, also die Beschaffung von mehreren Lieferanten gleichzeitig, sind in der Automobilindustrie überschaubar. Meist gibt es nur wenige freigegebene Hersteller je Zulieferteil und das durch die gesamte Wertschöpfungskette, was im aktuellen Umfeld zum erhöhten Risiko wird. Denn vor allem Zulieferzweige mit hohem Energiebedarf trifft es in Europa gerade doppelt. Höhere Materialkosten und teils mehrfache Energiekosten belasten sehr schnell die Liquidität der Unternehmen.

Neuentwicklungen und auch der Ausbau oder die Neuausrichtung von Produktionskapazitäten werden durch die Hersteller auf Machbarkeit geprüft und im schlechtesten Fall nicht umgesetzt. Verschärfend kommt hinzu, dass die Zulieferer im hausinternen Risikomanagement aufgrund des wirtschaftlichen Umfeldes weniger Risiken eingehen können. Durch den Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine fiel eine sehr begehrte Produktionsregion für die Autoindustrie von einem Tag auf den anderen aus. Die Unternehmen mussten die Produktion in wenigen Wochen in andere, meist teurere Standorte verlagern, um die Belieferung nicht zu gefährden. Die Kosten stiegen, das Geld fehlt an anderer Stelle. Zusätzlich stellen nun steigende Zinsen Projekte teilweise in Frage, da der „Return-on-Invest“ leidet. Es bleibt zu beobachten, wie sich diese Situation langfristig auf die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen auswirkt. Bis dahin sind stabile und gut funktionierende Lieferketten im aktuellen Umfeld ein großer Wettbewerbsvorteil.

Welche Konsequenzen ergeben sich daraus?

Preise in der automobilen Lieferkette kannten Jahrzehnte lang nur eine Richtung: „billiger“. Immer entferntere Länder wurden Produktionsstandorte, um diesem Preisdruck Stand zu halten. Seit 2021 scheint die Entwicklung zumindest gestoppt.  Die Zulieferer sind nicht mehr in der Lage, Preise zu reduzieren, im Gegenteil, steigende Kosten müssen durch die Wertschöpfungskette weitergegeben werden, damit diese intakt bleibt. Es ist auch eine gesellschaftliche Aufgabe, die steigenden Kosten durchzureichen, sodass sich das Wirtschaftssystem wieder einschwingt beziehungsweise neu formiert und letztendlich auch unser Wohlstandsniveau erhalten bleibt. Die Voraussetzung zur Weitergabe der Kosten ist die plausibilisierte Darstellung der Zusammenhänge zwischen MD-Produkten und den steigenden Kosten für Materialien, Energie, Personal, etc. Die Anforderungen an die Kostentransparenz werden steigen. Es werden sich neue indexbasierte Preisgleitklauseln etablieren, um das Risiko stark schwankender Rohmaterialmärkte aus der Wertschöpfungskette zu nehmen und Zustände wie aktuell zukünftig zu vermeiden. Diese Abläufe werden im Bereich Bordnetz für das Metall Kupfer schon Jahrzehnte lang gelebt und sind somit in der Branche etabliert.  Daneben führen die steigenden Kosten für Transport und Logistik dazu, dass Unternehmen die Lieferwege genauer prüfen. Logistikkosten waren vor Corona von geringer Relevanz für die Ergebnisse von Unternehmen. Das hat sich jetzt geändert. „Produce regional“ ist das neue Credo, um lange Lieferwege und hohe Kosten zu vermeiden.  Natürlich bedeutet dieser Schritt raus aus Niedriglohnländern höhere Kosten für die Produkte. Um den Kosteneffekt zu minimieren, werden Unternehmen stärker in die Automatisierung investieren.

Wie gehen wir bei MD im Einkauf mit dieser Situation um?

Das wesentliche Ziel ist, die wirtschaftlich beste aber faire Lösung für die Lieferkette zu finden. Grundlage für jegliche Gespräche ist die Kostentransparenz, sodass auf Basis plausibler und nachvollziehbarer Darstellung die Situation bewertet werden kann. Die Lieferanten sind aufgefordert, ihren Teil zur Mehrkostenreduzierung beizutragen und Ihre Effizienzen umzusetzen. Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst und wollen auch in Zukunft funktionierende und partnerschaftliche Lieferantenbeziehungen pflegen.

Carsten, vielen Dank für das super interessante Gespräch!

Global denken, regional handeln und Zuverlässigkeit gewährleisten

In Zeiten globaler Unsicherheit muss die Automobilindustrie teilweise umdenken. Die gestiegenen Kosten werden sich zwangsweise in den kompletten Wertschöpfungsketten wiederspiegeln. Höhere Beschaffungspreise sind also ein Fakt, und es gilt die Preissteigerungen transparent zu kommunizieren und Einsparpotentiale konsequent zu nutzen. Eine stärkere Automatisierung kann zum Beispiel ein Weg sein, wieder näher am Kunden effizient zu produzieren, unsichere Regionen zu meiden und Logistikkosten zu senken.

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Carsten Bieng

„Carsten Bieng, Director Procurement, ist verantwortlich für den Produktionsmaterialeinkauf der MD Gruppe. Mehr als 12 Jahre Branchenerfahrung und knapp 10 Jahre Führungsverantwortung im Einkauf machen ihn zu einem Experten auf seinem Gebiet. Begonnen als strategischer Einkäufer verantwortet er heute mit seinen Einkaufsteams den Gesamtumfang der Produktionsmaterialien -Beschaffung. Aus seinem Auftrag, die Liefersicherheit zu garantieren und die Wettbewerbsfähigkeit für MD zu stärken, hat sich in den letzten Jahren eine ganzheitliche Einkaufsstrategie entwickelt. Ganz nach dem Sprichwort von John Kabat Zinn „Du kannst die Wellen nicht stoppen. Aber du kannst lernen, auf ihnen zu surfen.“ gilt es den Beschaffungsmarkt, das Umfeld und deren Herausforderungen lesen, verstehen und antizipieren zu können, um langfristig die strategischen Weichen zu stellen.“