Sind die Specs für die Zukunft ausreichend?

Der Megatrend C.A.S.E. beschreibt die vier wesentlichen Zukunftsthemen der Automobilindustrie: Connected, Autonomous, Shared & Service und Electric. Daten spielen dabei eine zentrale Rolle und treiben die Zukunft der Automobilindustrie an.

Dies wirft zwei zentrale Fragen auf: Wie beherrschen Daten die Komplexität der Systeme im Fahrzeug und die weitere Entwicklung? Bilden die heutigen Spezifikationen die Anforderungen der Zukunft ab?

Genau diesen Fragen gehen wir in diesem Blogartikel nach. Hier erfahren Sie, warum neue Datenübertragungssysteme benötigt werden, wie diese entstehen, warum eine frühe Beteiligung in Gremien sinnvoll ist, welche Auswirkungen dies auf den Produkt-Entstehungsprozess hat und wie die sich daraus resultierenden Anforderungen in Spezifikationen und Lastenhefte übertragen werden.

Warum braucht man neue Datenübertragungssysteme?

Viele Jahre etablierten sich Systeme, wie LIN, CAN und FlexRay als führende und zuverlässige Bordnetzsysteme im Fahrzeug. Diese Systeme entsprechen nicht mehr den heutigen Anforderungen.

Konventionelle Systeme – zueinander abgegrenzt

Automotive Ethernet – Übergreifende Protokolle

Einerseits kann der Bedarf an höheren Datenraten mit diesen Systemen nicht mehr erfüllt werden. Deshalb wurde Ethernet als System im Fahrzeug in Betracht gezogen. Dieses konnte schon vor über 10 Jahren Update-Zeiten beim Fahrzeugservice gegenüber dem CAN Bus reduzieren, da eine um 100 Mbit/s (100BASE-TX) höhere Datenrate im Vergleich zu CAN mit 1 Mbit/s möglich war. Andererseits bietet Ethernet ein Netzwerksystem mit standardisierten Protokollen zur Vereinheitlichung der Kommunikation.

Seit dieser Zeit hat sich in der Entwicklung neuer Ethernet Standards für automotive Anwendungen sehr viel getan. Ein Durchbruch wurde mit der Übernahme der BroadR-Reach-Technologie auf Basis von 100BASE-T (100 Mbit/s Datenrate) zum Senden und Empfangen von Daten mit 1 Datenpaar erreicht – das sogenannte Single Pair Ethernet (SPE), im Gegensatz zu mindestens 2 Datenpaaren beim Standard Ethernet (100BASE-TX).

In diversen Arbeitsgruppen werden Standards für Automotive Ethernet aber auch weiterhin für SerDes (Serialisierer/Deserialisierer) Anwendungen mit serieller Übertragung von Daten über eine geringe Anzahl von Leitungen zur Übertragung von asymmetrischen Daten über Koaxial- oder Twisted Pair- Verbindungen entwickelt.

Neue Datenübertragungssysteme für Automotive Ethernet oder Automotive SerDes werden benötigt, um folgende Vorteile zu generieren:

  • Hohe Datenraten
  • Vereinheitlichung der Kommunikation
  • Standardisierte Protokolle
  • Nutzung gemeinsamer Knoten
  • Reduzierung der Kosten (je nach Anwendung)

Wie entstehen neue Datenübertragungssysteme?

Die Entwicklung neuer Datenübertragungsstandards stellt ein notwendiges Bedürfnis der Entwickler bei Fahrzeugherstellern (OEMs) oder TIER1s dar, um ein möglichst großes Ecosystem mit marktfähigen Produkten zu erhalten.

Automotivtaugliche Datenübertragungssysteme entstehen aus der Arbeit von etablierten Industrie-Standardisierungsgremien wie IEEE (Institute of Electrical and Electronic Engineers) oder MIPI (Mobile Industry Processor Interface Alliance), deren Standards in zahlreichen Branchen umgesetzt werden.

Aber das reicht nicht immer aus! Es wurden auch neue Gremien wie die OPEN Alliance (One Pair Ethernet) oder Automotive SerDes Alliance (ASA) formiert, in deren Spezifikationen direkt die Anforderungen an die Produkte und Komponenten der Automobilbranche betrachtet werden. Die OPEN Alliance nutzt die BroadR-Reach-Technologie und etablierte diese als offenen Standard für automobile Netzwerkanwendungen.

Automotive Ethernet Standards aus der IEEE 802.3 Working Group
IEEE Standard Bezeichnung Datenrate [Mbit/s]
IEEE 802.3bw 100BASE-T1 100 Bereits erschienen
IEEE 802.3bp 1000BASE-T1 1000 Bereits erschienen
IEEE 802.3ch 2.5GBASE-T1 2500 Bereits erschienen
IEEE 802.3ch 5GBASE-T1 5000 Bereits erschienen
IEEE 802.3ch 10GBASE-T1 10000 Bereits erschienen
IEEE 802.3cy 25GBASE-T1 25000 In Arbeit

Warum ist eine frühe Beteiligung in Gremien sinnvoll?

Die Beteiligung von Fahrzeugherstellern (OEMs) und Zulieferern in Fachkreisen und Gremien (z. B. IEEE, OPEN Alliance) ist zusammen mit hochqualifizierten Experten aus den Reihen der Systementwickler extrem wichtig.

Das Zusammenbringen der Spezialisten aus diesen Bereichen stellt die Grundlage für eine erfolgreiche Gestaltung der Spezifikationen dar, die für die Entwicklung eines Datenübertragungsstandards notwendig sind. Die Ziele des Datenübertragungsstandards werden zu Beginn festgeschrieben. Im Laufe der Entstehung des Standards werden gewisse Rahmenparameter gesetzt.

Schon früh kann durch aktive Beteiligung Einfluss auf wichtige Eigenschaften des physikalischen Übertragungsmediums genommen werden:

    • Maximale Länge des Übertragungskanals
    • Maximale Anzahl von Stecksystemen (Inline-Steckverbinder,
    • Übergang auf Leiterplatten)
    • Transmissions- und Reflexionseigenschaften
      • Link Segment Insertion Loss
      • Channel Return Loss
      • Weitere Eigenschaften der physikalischen Übertragung
    • EMV Eigenschaften
      • Störemissionen
      • Störfestigkeit
      • Crosstalk
    • Spezifikation von Umwelteinflüssen
      • Temperatur
      • Feuchte
      • Alterung
    • Spezifikation von mechanischen Einflüssen
      • Dynamische Beanspruchung
      • Statische Beanspruchung

Der regelmäßige Austausch der Teilnehmer bei Konferenzen und Treffen bildet die Basis zur erfolgreichen Erarbeitung eines Standards. Die Standardisierungsinstitute geben dafür die Rahmenbedingungen vor.

Einfluss und Auswirkungen auf den Produkt-Entstehungsprozess

Die Gremien sind abhängig von einer aktiven Beteiligung, Beiträgen und Vorschlägen der Teilnehmer zu den Eigenschaften der zukünftigen Systeme.

Frühe Tests an Materialien (Meterwaren, Stecksysteme) können bei den Entwicklungspartnern oder Firmen durchgeführt werden. Die Ergebnisse daraus bilden die Grundlage und Basis von Grenzwerten zukünftiger Standards.

Dies ermöglicht den Aufbau kompletter Link-Segmente im frühen Entwicklungsstadium. Neue Meterwaren und neuartige Stecksysteme können somit frühzeitig getestet und die Fertigungstechnologien parallel entwickelt werden.

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Die aktive Teilnahme an diesen Gremien ermöglicht es uns, in der Standardisierungsphase mögliche Komponenten an Anlagen zu testen und die Herausforderungen zum Aufbau neuer Kabelkonfektionierungs-Lösungen zu bewerten.

Im Fachbereich Research & Development werden alle notwendigen Komponenten wie Meterwaren und Stecksysteme zielgerichtet und den jeweiligen Applikationen entsprechend ausgewählt.

Im Produktbereich Koax entstehen Lösungen für die Übertragung von Frequenzen von 50 MHz bis zu 9 GHz für Antennenverbindungen oder SerDes Standards (FAKRA, Mini Koax).

Die Datenleitungen mit Twisted Pair-Stecksystemen (H-MTD oder HSD) werden für LVDS Übertragungen oder Automotive Ethernet Applikationen entwickelt.

Elektrische, thermische und mechanische FEM-Simulationen sowie Hochfrequenz-Simulationen werden in den Entwicklungsabteilungen durchgeführt. Im hauseigenen, nach IEC 17025 akkreditierten Prüflabor können alle von den OEMs geforderten Prüfungen für Lastenheftfreigaben durchgeführt werden.

Verarbeitbarkeitsprüfungen an Koax-Meterwaren sowie an ungeschirmten, geschirmten Twisted Pair- und Parallel Pair-Meterwaren (UTP, STP, STQ und SPP) werden in unserem Technikum am Hauptsitz in Deutschland oder an den Fertigungsstandorten durchgeführt.

Innovative Fertigungs- und Verbindungstechnologien in Kombination mit der Entwicklung von automatisierten Fertigungsanlagen ermöglichen den Aufbau und die Produktion von zukunftsfähigen Kabelkonfektionierungslösungen für die anstehenden Themen der Automobilindustrie.

Wie werden die Anforderungen, die sich daraus ergeben, in Spezifikationen und Lastenhefte übertragen?

Inhalte von veröffentlichten Standards und Spezifikationen bilden die Grundlage für einzelne Produktspezifikationen und Kundenlastenhefte.

Bei Automotive Ethernet Applikationen werden z. B. in der OPEN Alliance TC9 sehr detailliert die Anforderungen an den Channel und die Komponenten festgelegt. Diese Beschreibung der elektrischen und physikalischen Eigenschaften der Datenübertragung ist ein in den Fachkreisen festgelegter Konsens. Dies erleichtert die Erstellung von Produktlastenheften, da hier einerseits die notwendigen Prüfungen und Messverfahren beschrieben sind und andererseits auch die spezifischen Grenzwerte der Komponenten.

Aber Vorsicht ist geboten! Die Vorgaben und Spezifikationen der einzelnen Komponenten müssen abgeglichen werden. Beispiele aus der Praxis zeigen die Herausforderungen, um Grenzwerte aus OEM-Lastenheften von Datenleitungen (Meterwaren) und von kompletten Kabelkonfektionen abzugleichen. Es treten zum Teil strengere Grenzwerte bei konfektionierten Leitungen auf als bei den Meterwaren. Dies muss von den zuständigen Experten betrachtet, abgeglichen und gegebenenfalls korrigiert werden – eine Notwendigkeit, um die Anforderungen an die Datenübertragung im kompletten Link-Segment zu erfüllen und eine entsprechende Qualität der Lieferketten sicherzustellen.

Wie geht es weiter?

Die Anforderungen der Datenübertragungssysteme steigen nicht nur hinsichtlich maximaler Länge und Datenrate. Hinzu kommt der Bedarf nach Möglichkeiten zur Übertragung von Daten und Leistung über die gleichen physikalischen Übertragungskanäle.

Dies zeigt sich in den Modellen der Zonenarchitektur im Fahrzeug. Der weitere Ausbau der Fahrerassistenzsysteme (ADAS – Advanced Driver Assistant Systems) weist den Weg zur Zunahme von Sensoren im Fahrzeug.

Die Sensoren benötigen neben der Spannungsversorgung auch die Anbindung an das Datenbordnetz. Sensoren können mittels hochperformanten Datenleitungen sowohl in den Datenaustausch integriert werden als auch mit Power over Data Line (PoDL) oder Power over Coax (PoC) mit Spannung versorgt werden.

Wir haben mit unserem C-KLIC Stecksystem ein geeignetes System entwickelt, welches die Vorteile einer leistungsfähigen Spannungsversorgung und einer Datenübertragung mit hohen Datenübertragungsraten verbindet.

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Auch durch die Veränderung der Antriebssysteme hin zum elektrischen Antrieb mit Akku (BEV – Battery Electric Vehicle) entstehen weitere Anforderungen durch den Antriebsstrang.

Elektromagnetische Verträglichkeit (EMV) stellt hier eine große Herausforderung dar. Diese Probleme können durch die Verwendung von optischen Übertragungssystemen wie Optical Automotive Ethernet (IEEE 802.3bv/IEEE 802.3cz) im Datenbordnetz reduziert werden.

Dieser Herausforderung stellen wir uns und entwickeln Lösungen für die Übertragung von Automotive Ethernet über faseroptische Komponenten und Lichtwellenleiter.

Zusammenfassung & Fazit

Um am Puls der Zeit zu bleiben, ist eine fokussierte und strukturierte Betrachtung der Zukunftsthemen eine wichtige Voraussetzung für Unternehmen in der Automobilindustrie. Durch die Beteiligung an Gremien und Arbeitsgruppen können die Anforderungen an neue Produkte frühzeitig abgeleitet werden. Das gilt insbesondere auch für die physikalischen Übertragungsmedien mit den Komponenten Steckverbinder und Meterwaren und deren Verarbeitungsprozesse in der Kabelkonfektion. Die Überprüfung von Produktspezifikationen und die Anpassungen an die jeweiligen Applikationen und Anforderungen stellen die Grundlage für erfolgreiche Datenübertragungslösungen dar.

Somit werden „Specs“ für die Zukunft nicht nur ausreichend sein, sondern auch passend!

Über Christian Neulinger

Christian Neulinger ist „Manager Radio Frequency & Simulation“ und hat inzwischen mehr als 10 Jahre Berufserfahrung in der Entwicklung und Qualifizierung von innovativen elektrischen Komponenten für die Leitungsgebundene High-Speed-Datenübertragung. Als aktives Mitglied in diversen Standardisierungsgremien wie IEEE 802.3 arbeitet er an der Entwicklung von neuen leistungsfähigen Datenübertragungssystemen für die Automobilindustrie mit.